Handelsblatt
DONNERSTAG, 12. FEBRUAR 2015, NR. 30
Ein Kupferschatz, ein Überforderter
Firmenchef und eine alte Dame, die nicht
loslassen kann: Was nach den Zutaten für
einen schlechten Krimi klingt, soll zur Pleite
des Elektro-Großhändlers Penell geführt
haben. Das lässt ein interner Bericht
vermuten. Ein Report von Michael Brächer.
rau ist der Himmel über dem
hessischen Ober-Ramstadt,
_ grau sind die Mehrfamilienhäuser,
und grau ist die Katze, die
am Zaun des Werksgeländes
von PeneB entlangschleicht. Hier,im Bermudadreieck
zwischen Lidl-Parkplatz, Farbfabrik
und dem Tanztreff Babylon, soll ein
Schatz verschwunden sein: Rund 7,3 Millionen
Euro sei erwert, so hieß es vor nicht einmal
einem Jahr.
Rückblende: Im Mai 2014 wirbt Kurt Penell,
Chef des gleichnamigen Familienunternehmens
aus der Nähe von Darmstadt, um
die Gunst von Anlegern. Die Firma mit nicht
einmal 40 Mitarbeitern hat sich auf die Lieferung
von Kupferkabeln für Großbaustellen
spezialisiert-vor allem für Tunnel. Penell sei
bei „allen interessanten Tunnelprojekten
weltweit vertreten“, sagt Kurt Penell in einem
Interview.
Die Anleihe, die in den Freiverkehr der
Börse Düsseldorf aufgenommen wird, ist
nur fünf Millionen Euro groß. Selbst für Mittelstandsanleihen,
die wegen ihres geringen
Volumens auch Minibonds genannt werden,
ist das wenig. So wäre die Geschichte der Penells
nur eine Randnotiz im dicken Buch der
Minibond-Skandale, wenn sie nicht so unglaublich
wäre. Denn um die Anleger von
der Anleihe zu überzeugen, verspricht Penell
ihnen „maximale Sicherheit“. Geht etwas
bei der Firma schief, dann ist ja noch immer
das Kupfer in den Kabeltrommeln als Sicherheit
da, so verspricht es der
Wertpapierprospekt.
So kommt es, dass dieser Tage merkwürdige
Gäste in Ober-Ramstadt gesichtet werden.
Anleger erklimmen den Hügel neben
der Farbfabrik und fotografieren die KabelroQen
auf dem Werksgelände, in denen Kupfer
im Wert von 7,3 Millionen Euro stecken
soll. Das Problem: Das tut es nicht.
Von den Kupferbeständen, die Penell auf
der Firmenhomepage noch immer als „solide
Sicherheit für Anleger“ bezeichnet; existiert
wohl nur ein Bruchteil, wie das Unternehmen
inzwischen einräumte. Mehr noch:
Lagerbestände sollen gefälscht, Rechnungen
im Auftrag der Ex-Chefin fingiert worden
sein.
So steht es im Entwurf für einen Bericht
der Berliner Wirtschaftsprüfung MSW, der
dem Handelsblatt vorliegt. MSW ist der Treuhänder
der Anleihe, sozusagen der Hüter
des Schatzes. Eines Schatzes, den es sowohl
niemals gab. Denn im vergangenen November
fliegt bei einer Prüfung auf, dass Penell
die Lagerbestände viel zu hoch veranschlagt
hat. Firmenchef Kurt Penell gerät unter
Druck - und gesteht den MSW-Treuhändem
laut Bericht, dass die Zahlen „nach oben korrigiert“
worden waren.
Im Auftrag von Kurt Penell nehmen die
MSW-Mitarbeiter die Vergangenheit der Firma
unter die.Lupe. Und stellen fest: Bei Inventuren
wurden Gegenstände gezählt, die
sich nicht oder nicht mehr im Lager befanden.
Im Geschäftsjahr 2012 soll so Vorrats-
Vermögen für 1,6 Millionen Euro erfunden
worden sein; im Jahr 2014 - vor der Emission
der Anleihe - war es schon mehr als doppelt
so viel. So wuchs der mysteriöse Kupferschatz
heran. Tatsächlich sollen die gesamten
Vorräte von Penell laut MSW zuletzt ma-
A
55
Um es klar zu sagen,
Penell wird es auch ohne
Anleihe weiter geben. Uns
geht das Geld nicht aus.
Wir wollen mit dem Geld
einfach flexibler sein.
Kurt Penell
Geschäftsführer von Penell im Mai 2014
Kupferdraht im Warenlager:
Sicherheit für die Anleihen?
ximal 2,3 Millionen Euro wert gewesen sein.
Davon entfallen nur rund 620000 Euro auf
Kupfer.
Laut MSW sollen Penell-Mitarbeiter nachträglich
Inventurlisten ergänzt haben, um
Bestände aufzubauschen. Die Bilanzen wurden
vom Hamburger Wirtschaftsprüfer TPW
testiert. Die Prüfer wollen sich zu dem Mandat
nicht äußern.
Mit den mutmaßlichen Bilanzfälschungen
sollen die Penells über Jahre ihre Verluste kaschiert
haben, so der MSW-Bericht: Während
das Unternehmen in seinen Bilanzen
stets Gewinn ausweist, soll Penell ab dem
Jahr 2012 tatsächlich rote Zahlen schreiben.
Allein zwischen April und Dezember des vergangenen
Jahres fällt laut ihren Berechnungen
ein Verlust von rund fünf Millionen Euro
an. Penell habe mit „dolosen Handlungen“,
also aiglistig, die Zahlungsunfähigkeit verschleiert,
so die Gutachter.
Trotzdem gönnen die Penells sich laut
MSW ein ordentliches Gehalt: Rund 316000
Euro fließen im vergangenen Jahr an drei
Mitglieder der Familie.
Ier amtierende Firmenchef Kurt Penell
taugt trotzdem nicht recht als
Bösewicht: Mitarbeiter sagen, er
sei mit der Situation völlig überfordert.
Die MSW-Gutachter schreiben, Penell
sei „den Anforderungen, die an einen Geschäftsführer
zu richten sind, in keiner Art
und Weise gewachsen.“ Sie attestieren ihm
„die fehlende Fähigkeit zu kalkulieren und
das Phänomen, dolosen Handlungen seiner
Mutter nicht zu widersprechen.“ Tatsächlich,
so berichten Mitarbeiter übereinstimmend,
ziehe seine Mutter Waltraut Penell
noch immer die Fäden im Unternehmen -
und das im Altervon 79 Jahren. „NachAuskunft
einzelner Mitarbeiter wird die Eingangspostweiterhinvon
ihr gesichtet“, heißt
es etwa im MSW-Bericht.
Dass Gründer nicht loslassen können,
kommt bei Mittelständlem öfter vor. Doch
laut MSW ging das Engagement von Waltraut
Penell deutlich über das erlaubte Maß hinaus.
Sie soll ab Mai 2013 Forderungen an
ein Factoring-Unternehmen verkauft haben,
um an Geld zu kommen. Forderungen, die
es so gar nicht gab: Penell-Mitarbeiter beStä
tigen dem Treuhänder, dass „einzelne Rechnungen
auf Anweisung der Geschäftsführerin,
Frau Waltraut Penell, erstellt wurden“.
Dabei seien gar keine Leistungen erbracht
worden.
Penell habe die Rechnungen nach einigen
Tagen storniert - und sich mit der Masche
dringend benötigtes Kapital verschafft. Im
vergangenen September soll das Factoring-
Unternehmen die Zusammenarbeit mit Penell
beendet haben. Eine fest 80-Jährige, die
Rechnungen fälscht? Auch dazu schweigt
Waltraut Penell. Zu einer Anfrage des Handelsblatts
wollen Kurt und Waltraut Penell
sich nicht äußern - mit Hinblick auf die laufenden
Ermittlungen. Denn auch die Darmstädter
Staatsanwaltschaft interessiert sich
für den Fall: Sie ermittelt wegen Betrugs.
Im Dezember 2014 scheidet Waltraut Penell
aus der Geschäftsführung aus - zwei Wochen
nachdem das Unternehmen per Pressemitteilung
eingeräumt hat, dass die Kupferbestände
viel kleiner ausfallen als
gedacht.
Für die Kupferschwindsucht präsentiert
ein Insider eine so abenteuerliche wie einfache
Erklärung: Bei Penell sei ein Kilometer
nur hundert Meter lang gewesen. So sei den
Treuhändern von MSW zehnmal mehr Material
präsentiert worden als vorhanden.
Trotzdem dauerte es Monate, bis die Treuhänder
begriffen, dass ihnen falsche Zahlen
präsentiert wurden. „Wir waren auf die Daten
angewiesen, die wir von Penell erhielten“,
heißt es heute bei MSW. Man habe so
schnell wie möglich reagiert - und sich an die
Bestimmungen des Treuhandvertrags gehalten.
Was die Treuhänder von MSW nach eigenen
Angaben nicht wussten: Bevor die Pe-
nells den Anlegern das Warenlager als Sicherheitversprachen,
hatten sie es schon jemand
anderem überlassen. Die
genossenschaftliche DZ Bank, bei der Penell
ebenfalls in der Kreide steht, meldet Ansprüche
auf das verbliebene Kupfer an.
ei ihren Recherchen entdecken die
misstrauisch gewordenen MSW-Miti
arbeitereinen „Sicherungsübereignungsvertrag“
vom April 2013, der
zugunsten der Genossenschaftsbank ausgestelltwurde.
Die DZ Bank möchte sich dazu
nicht äußern. So scheint es, als täuschten die
Penells gleich drei Parteien: Die DZ Bank,
den Treuhänder und die Anleger der Mittelstandsanleihe.
Doch wie schaffte es ein Unternehmen
wie Penell überhaupt an den Kapitalmarkt?
Bei der Emission stand der Firma
der Finanzberater Dicama zur Seite.
„Wir haben die Emission von Penell nach
bestem Wissen begleitet und geprüft“, sagt
Dicama-Vorstandssprecher Markus Dietrich.
„Die Zahlen, die Penell präsentierte, hatten
Wirtschaftsprüfer uneingeschränkt testiert. “
Inzwischen habe man die Anforderungen an
künftige Emittenten deutlich erhöht.
Zwar zählt zum Erfolgsrezept von Geschäftsbeziehungen,
dass man nicht jede
Wahrheit ausspricht. Doch Dicama hätte zumindest
ahnen können, dass Penell nicht für
den Anleihemarkt gewappnet war. Das legt
ein weiteres Gutachten nahe, das ein externer
Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Anleiheemission
erstellte. Ihm kommt die „überdurchschnittlich
lange Kapitalbindung“ bei
Penell spanisch vor. Sie solle „kritisch geprüftwerden“.
Der Prüfer sieht „nicht zu unterschätzende
Risiken bei Management-Ressourcen,
kaufmännischer Transparenz und Kapitalbindung.
“ Zwar könne Penell von der Anleihe
profitieren, aber das Gutachten hält es
„für zwingend erforderlich, die .endogenen
Strukturprobleme‘ kurzfristig abzustellen“.
Der Bond geht trotzdem an den Markt.
Die Pläne von Penell seien durchaus machbar
gewesen, sagt Dicama-Chef Dietrich heute
- vorausgesetzt, die Zahlen hätten gestimmt.
Doch das taten sie nicht.
„Um es klar zu sagen, Penell wird es auch
ohne Anleihe weiter geben“, hatte Kurt Penell
im vergangenen Jahr noch versprochen.
Am Montag vor einer Woche beantragte er
für seine Firma die Insolvenz.
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