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Mittwoch, 8. April 2015

Die Ausfallraten in den Mini-Bond-Segmenten klettern immer höher, doch die Emissionsbegleiter sind außen vor. Erzwingen die frustrierten Investoren jetzt am Ende doch noch eine Haftung durch die Hintertür?

Ausfallrate in Stuttgart klettert über 30 Prozent

Mini-Bonds: Haften doch noch die Emissionsbegleiter?

Von Michael Hedstück
Die Ausfallraten in den Mini-Bond-Segmenten klettern immer höher, doch die Emissionsbegleiter sind außen vor. Erzwingen die frustrierten Investoren jetzt am Ende doch noch eine Haftung durch die Hintertür?
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Handelssaal der Börse Stuttgart: Die Ausfallrate bei Mittelstandsanleihen ist viel zu hoch. Welchen Anteil daran hat die fehlende Haftung der Emissionsbegleiter?
Börse Stuttgart
Handelssaal der Börse Stuttgart: Die Ausfallrate bei Mittelstandsanleihen ist viel zu hoch. Welchen Anteil daran hat die fehlende Haftung der Emissionsbegleiter?
Die geplante Restrukturierung der Mittelstandsanleihe von Ekotechnika, bei der die Investoren wohl nur mit einer Recovery-Rate von rund 5 Prozent rechnen können, hat die Ausfallrate am BondM-Segment der Börse Stuttgart auf über 30 Prozent gehievt. Setzt man das in Bezug zur bisherigen durchschnittlichen Laufzeit der BondM-Anleihen, entspräche dies in der Ratingsystematik von Standard & Poor’s einem Ausgangsrating von CCC. Die meistenMittelstandsanleihen sind zum Zeitpunkt der Emission jedoch im Double-B- und Triple-B-Bereich geratet worden – eine Abweichung von bis zu 10 Notches zur tatsächlich eingetretenen Ausfallrate.

An der Frankfurter Börse ist das Bild nicht ganz so trist. 63 Anleihen von 56 Emittenten stehen neun notleidende oder ausgefallene Anleihen von acht Emittenten gegenüber, darunter die MS Deutschland, der Fahrradhersteller Mifa und die zu einem Krimi gewordene Immobilienpleite von Golden Gate. Das entspricht einer Quote von knapp 15 Prozent und damit einem S&P-Rating im Single-B-Bereich, was aber immer noch eine erheblich schwächere Performance darstellt, als die Ratings erwarten ließen.

Grober Webfehler der Mittelstandsanleihen

Auch wenn die Ausfälle inzwischen nicht mehr ganz so schnell aufeinander folgen wie noch 2013 und in der ersten Jahreshälfte 2014 – die erhoffte Trendwende ist ausgeblieben: Die enttäuschten Investoren sind nicht zurückgekommen, die Zahl der Neuemissionen ist eingebrochen. Vergangene Woche machten die Emittenten Apassionata und Enterprise Holdings bittere Erfahrungen: Enterprise konnte nur ein Bruchteil des geplanten Volumens platzieren, die Apassionata-Emission wurde sogar ganz abgesagt. Auch der Immobilienbond von DREF schaffte es nicht an den Markt.

Die Ursachenforschung konzentriert sich inzwischen nicht mehr nur auf die unangemessenen Ratings und die fehlende Selektionsbereitschaft mancher Emissionsbegleiter. Zunehmend rückt ein Webfehler der Mittelstandsanleihen-Segmente ins Blickfeld, den letztlich die Börsenbetreiber zu verantworten haben: Im Freiverkehr, wo die überwiegende Anzahl der Mittelstandsanleihen notiert ist, haftet nur der Emittent selbst für die Richtigkeit der Angaben im Anleiheprospekt, nicht jedoch die emissionsbegleitende Bank.

Der FINANCE-Kolumnist Olaf Schlotmann schätzt, dass das Geflecht von Coaches, Listing Partnern, ihren Zuarbeitern und Geschäftspartnern seit dem Jahr 2010 schon mehr als 200 Millionen Euro an Gebühren durch Mini-Bond-Emissionen kassiert hat, ohne für die späteren Pleiten zu haften. 

Kommt die Haftung durch die Hintertür?

"Vorstellbar, dass Anwälte es mal versuchen werden": Kapitalmarktrechtler Robert Michels
Dentons
"Vorstellbar, dass Anwälte es mal versuchen werden": Kapitalmarktrechtler Robert Michels
Der von der fehlenden Haftung ausgehende Fehlanreiz ist offensichtlich: Am Mini-Bond-Markt haben die Emissionsbegleiter kein starkes Eigeninteresse daran, die Emittenten auf Herz und Nieren zu prüfen. Am regulierten Markt, wo das anders ist, liegen die Ausfallraten erheblich unter denen am Mini-Bond-Markt.

Der Kapitalmarktrechtler Robert Michels von der Kanzlei Dentons sieht die Möglichkeit, dass frustrierte, geschädigte Investoren versuchen könnten, die Haftung auf dem Klageweg nachträglich doch noch auf Engagierte jenseits der Emittenten auszudehnen: „In Ausnahmefällen ließe sich theoretisch eine Haftung der Emissionsbegleiter oder der beteiligten Börsen in Bezug auf Verstöße gegen die Quasi-Ad-hoc-Pflichten beziehungsweise aus Prospekthaftung herleiten“, meint Michels. Naheliegend sei das zwar nicht. „Aber ich halte es für vorstellbar, dass ein kreativer Anlegerschutzanwalt das einmal versuchen könnte.“

Der erste Vorstoß in diese Richtung ist jedoch gescheitert. Die Prospekthaftungsklage gegen den früheren Chef des insolvent gegangenen Solarzulieferers SiC Processing, Thomas Heckmann, wurde Ender September vergangenen Jahres vom zuständigen Landgericht Nürnberg/Fürth abgewiesen. „Die Kammer hat die Prospektverantwortlichkeit des Beklagten verneint“, erklärte ein Gerichtssprecher gegenüber FINANCE.

Pleiten aus heiterem Himmel

Verstöße gegen die Quasi-Ad-hoc-Pflichten sind bislang noch ein blinder Fleck auf der an Skandalen nicht armen Landkarte der Mittelstandsanleihen. Obwohl sie die Pflichten der Emittenten eigentlich klar definiert haben, agieren die Börsen dort sehr zurückhaltend: Die Deutsche Börse gab auf FINANCE-Anfrage an, im Entry Standard für Unternehmensanleihen noch kein einziges Mal eine Vertragsstrafe wegen Verstößen gegen die Quasi-Ad-hoc-Pflicht verhängt zu haben. Strafen verhängte die Deutsche Börse bislang „betreffend Rating, Jahresabschluss, Halbjahresabschluss und  Unternehmenskennzahlen“.

Die Börse Stuttgart hat nach eigenem Bekunden „von den im Regelwerk vorgesehenen Maßnahmen in seltenen Fällen Gebrauch gemacht“, ohne dies aber näher zu präzisieren.

Dabei mangelt es nach Ansicht vieler Marktteilnehmer nicht an Fällen, in denen Emittenten so lange mit beschwichtigenden Meldungen aufgefallen sind, bis am Ende dann doch die Insolvenz oder die Restrukturierung der Mittelstandsanleihe verkündet wurde – zum Teil in krassem Widerspruch zu kurz vorher veröffentlichten Statements. Manche Insolvenzen, wie zum Beispiel von Mox Telecom, kamen aus heiterem Himmel. Auch die dubiosen Ereignisse bei dem Cleantech-Investor MBB Clean Energy, dessen Mittelstandsanleihe jetzt schon seit fast einem Jahr ausgesetzt ist, lassen die Frage zu, ob die Anleihegläubiger angemessen informiert worden sind.

Deutsche Börse lehnt größere Stückelung ab

Kleinanleger sind von unzureichender Haftung der auf Emittentenseite Engagierten in der Regel besonders stark betroffen, da die meisten von ihnen keine eigene Kreditanalyse betreiben können. Eine Möglichkeit, sie zu schützen und sicherzustellen, dass bei der Emission und im Sekundärhandel nur noch (semi-) institutionelle Investoren dabei sind, wäre es, die Stückelung der Mittelstandsanleihen zu erhöhen, von aktuell 1.000 auf mindestens 100.000.

Der aktuelle Marktführer hält dies jedoch nicht für den richtigen Weg: „Die Deutsche Börse plant nicht, die Stückelung anzuheben, weil das aus unserer Sicht kein geeignetes Auswahlkriterium zwischen risikobewussten und nicht risikobewussten Anlegern ist“, sagt Cord Gebhardt, Leiter des Primärmarktgeschäfts der Deutschen Börse. „Entscheidend ist, über die Risiken aufzuklären und die Investoren ihre Anlageentscheidungen selbst treffen zu lassen.“

Der einstige Marktführer hat das Problem auf andere Weise gelöst: Die Börse Stuttgart wirbt nicht mehr aktiv für ihr Mini-Bondhandelssegment BondM. Begründung: „Der Markt für Mittelstandsanleihen ist tot.“

michael.hedtstueck[at]finance-magazin.de

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