Samstag, 25. März 2017
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 27. Dezember 2016 – 10 U 97/16
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Aber selbst wenn für weitere Gläubigerversammlungen, die nach der ersten; vom Insolvenzgericht einzuberufenden Gläubigerversammlung gemäß § 19 Abs. 2 SchVG stattfinden, die allgemeine Regelung des § 9 SchVG anwendbar ist, besagt dies nichts darüber, wer im Falle der Insolvenz einer GmbH für diese insolvente Schuldnerin zur Einberufung der Gläubigerversammlung berechtigt ist. Ob in diesem Fall der Geschäftsführer kraft der ihm verbliebenen Restkompetenz die Gläubigerversammlung einberufen kann oder ob diese Befugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist, beantwortet Friedl in der Kommentierung, auf die der Geschäftsführer verweist, nicht. Schmidtbleicher19 verweist zutreffend darauf, dass es sich bei der Einberufung nicht um einen gesellschaftsinternen Vorgang handelt, sondern um den Umgang der Gesellschaft mit den Gläubigern. Dieser Bereich ist aber nicht dem sog. Schuldnerbereich zuzuordnen. Deshalb ist entgegen Rattunde20 der Geschäftsführer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr berechtigt, die Anleihegläubigerversammlung einzuberufen.
In der Sache ging es in der Anleihegläubigerversammlung um die Verwertung der Insolvenzmasse. Das wirtschaftliche Interesse der Anleihegläubiger in der Insolvenz der Anleiheschuldnerin besteht darin, das angelegte Kapital nebst den versprochenen Zinsen möglichst vollständig zu erhalten. Es besteht damit ein unmittelbarer Bezug zum Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters, der nach Maßgabe der InsO das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten hat. Die Einladung zur Anleihegläubigerversammlung fällt deshalb als masserelevante Geschäftsführungsmaßnahme in den Zuständigkeitsbereich des Insolvenzverwalters.
Zu berücksichtigen ist vorliegend zudem, dass nach den Anleihebedingungen eschlüsse der Gläubigerversammlung “durch Abstimmung ohne Versammlung gefasst” werden. Ist aber in den Anleihebedingungen geregelt, dass die Beschlussfassung der Gläubiger nicht in einer Gläubigerversammlung erfolgt, sondern im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung, was § 5 Abs. 6 S. 2 SchVG gestattet, kommt die Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung bereits deshalb nicht in Betracht.
Auch wenn es für die Schuldnerin bzw. deren Organe sinnvoll sein mag, gerade bei größeren Insolvenzen Verhandlungen mit Gläubigern nicht bilateral, sondern im Rahmen einer Gläubigerversammlung zu führen, wie die Berufung ausführt, ergibt sich daraus nicht die Befugnis der Schuldnerin bzw. ihres Geschäftsführers, eine förmliche Anleihegläubigerversammlung gemäß § 9 SchVG einzuberufen. Sofern die Einberufung überhaupt in Betracht kommt und nicht in den Anleihebedingungen nur die Beschlussfassung im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung vorgesehen ist, ist die Versammlung lediglich zur Entscheidung über eine der in § 5 Abs. 3 SchVG aufgeführten Maßnahmen, zur Bestellung bzw. Abberufung eines gemeinsamen Vertreters sowie zu den weiteren in § 9 Abs. 1 S. 2 SchVG aufgeführten Maßnahmen, oder – sofern die Anleihebedingungen dies vorsehen – zu weiteren in den Anleihebedingungen vorgesehenen Maßnahmen zulässig.
Ein Einberufungsgrund lag danach nicht vor. Soweit nach § 9 Abs. 1 S. 2 SchVG die Einberufung auch bei einem “sonstigen besonderen Interesse” verlangt werden kann, betrifft dies nicht die Einberufung durch die Schuldnerin, sondern durch Gläubiger, deren Schuldverschreibungen mindestens 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen.
Entgegen der Ansicht des Geschäftsführers wird seine Rechtsauffassung nicht durch § 11 Abs. 1 WpHG bestätigt. Nach dieser Vorschrift hat der Insolvenzverwalter, wenn über das Vermögen eines nach dem WpHG zu einer Handlung Verpflichteten ein Insolvenzverfahren eröffnet ist, den Schuldner bei der Erfüllung der Pflichten nach diesem Gesetz zu unterstützen, insbesondere indem er aus der Insolvenzmasse die hierfür erforderlichen Mittel bereitstellt.
Vorliegend geht es jedoch nicht um die Umsetzung einer Pflicht nach dem WpHG.
Da der Geschäftsführer vorliegend nicht befugt war, eine Anleihegläubigerversammlung einzuberufen, hat er gegen die ihm gegenüber der Schuldnerin obliegende Leistungstreuepflicht verstoßen. Diese Nebenpflichtverletzung im Rahmen des Geschäftsführungsschuldverhältnisses begründete bis zu seiner Abberufung vom Amt des Geschäftsführers einen Unterlassungsanspruch, da die Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauerte21.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 27. Dezember 2016 – 10 U 97/16
- Anschluss an BGH, Urteil vom 26.01.2006 – IX ZR 282/03 6↩
- Lüke in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, 69. Lieferung 11.2016, § 80 InsO, Rn. 7↩
- BT-Drs. 16/12814 S. 25↩
- Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 818; Ott/Vuia in MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 80 Rn. 112↩
- vgl. hierzu Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, insb. 818 u. 828 ff.; Mock in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 80 Rn. 32↩
- BGH, Urteil vom 26.01.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260 6↩
- Ott/Vuia in MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 80 Rn. 112; ähnlich Ott/Brauckmann, ZIP 2004, 2117, 2118↩
- Windel, in: Jaeger, InsO, § 80 Rn. 76↩
- Haas/Kolmann/Pauw, in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 92 Rn. 303 ff.↩
- zu weiteren Rechten und Pflichten s. bspw. Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 92 Rn. 308 ff.↩
- Ott/Vuia in MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 80 Rn. 112a; s.a. Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 80 Rn. 48 [37. Lfg. 9/09]: “innergesellschaftliche Befugnisse und Pflichten, die entweder das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffen … oder die Rechte und Pflichten der Gesellschaft im Insolvenzverfahren”; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, § 80 Rn. 34 [August 2014]: “nicht verdrängter gesellschaftsrechtlicher Zuständigkeitsbereich, soweit die Entscheidungen keinen Bezug zur Insolvenzmasse haben”↩
- Windel in: Jaeger, InsO, § 80 Rn. 79; Mock in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 80 Rn. 32; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, § 80 Rn. 34 [August 2014]↩
- vgl. Windel in: Jaeger, InsO, § 80 Rn. 79; Mock in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 80 Rn. 32; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, § 80 Rn. 34 [August 2014]↩
- OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20.03.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119 7↩
- vgl. Friedl in Frankfurter Kommentar zum SchVG, § 19 Rn. 31; Rattunde in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 19 Rn. 65 ff.; Wasmann/Steber in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 9 Rn. 3↩
- vgl. BGH, Beschluss vom 02.12 2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 23 ff.↩
- s.a. Rattunde in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 19 Rn. 8↩
- BT-Drs. 16/12814, S. 25↩
- Schmidtbleicher, in Frankfurter Kommentar zum SchVG, § 9 Rn. 6↩
- Rattunde, in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 19 Rn. 68↩
- vgl. BGH, Urteil vom 11.09.2008 – I ZR 74/06, BGHZ 178, 63 = NJW 2009, 1504 17; Urteil vom 05.06.2012 – X ZR 161/11, NZBau 2012, 652 15; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 280 Rn. 33↩
Eingest